15. Mai 2023

Ulrich Peters: Rechte Umsturzfantasien

In den zurückliegenden Monaten kam es zu mehreren Ermittlungen und zum Teil medienwirksamen Durchsuchungen gegen bewaffnete, extrem rechte Netzwerke, die ihren Ursprung auch in den verschwörungsideologischen Protesten der letzten drei Jahre haben.

Seit dem 17.05.2023 steht die ehemalige Lehrerin und evangelische Theologin Elisabeth R. als Rädelsführerin der Gruppierung „Vereinte Patrioten“ mit vier weiteren Angeklagten in Koblenz vor Gericht. Vorgeworfen wird ihnen die Planung der Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sowie die Vorbereitung von Angriffen auf die Stromversorgung, um einen sogenannten „Tag X“ – einen durch verschiedenste Aktivitäten angestrebten Zusammenbruch des Systems – herbeizuführen.[1] Die Ermittlungen gegen die „Vereinten Patrioten“ führten darüber hinaus aber auch zur Aushebung eines weiteren bundesweit aktiven rechten Netzwerkes. So kam es am 07.12.2022 in Deutschland, Österreich und Italien zu Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Im Fokus dieser Ermittlungen steht eine Gruppe, die unter der Bezeichnung „Patriotische Union“ Waffen gehortet, Schießübungen durchgeführt, Feindeslisten angelegt und einen gewaltsamen Umsturz vorbereitet haben soll. In 162 durchsuchten Gebäuden wurden ca. 25.000 Schuss Munition, diverse Pistolen, Gewehre, Hieb- und Stichwaffen sowie Nachtsichtgeräte und Satellitentelefone beschlagnahmt. Neben mehr als 400.000 Euro in bar wurden auch größere Mengen Gold und Silber gefunden. Sichergestellt werden konnten darüber hinaus einige sogenannte „Feindeslisten“, die Namen und zum Teil Anschriften von Politiker*innen, Journalist*innen und Ärzt*innen enthielten. Zu weiteren Durchsuchungen im Umfeld der „Patriotischen Union“ kam es zuletzt im März 2023.[2] Von den mittlerweile insgesamt 63 Beschuldigten sind aktuell 25 Personen in Haft.

„Patriotische Union“

Inhaltlich greifen die hier erwähnten Gruppierungen auf reichsideologische Versatzstücke ebenso zurück wie auf Verschwörungsglaube und (rechte) Esoterik. Reichsideolog*innen glauben daran, dass die Bundesrepublik Deutschland eine illegale Konstruktion sei, während das Deutsche Reich weiterhin existiere. Allgemein wird davon ausgegangen, dass Deutschland und das „deutsche Volk“ fremdbestimmt werden. Mit dieser Annahme wird auch die Souveränität Deutschlands angezweifelt, da diese als „BRD GmbH“ lediglich unter Verwaltung bzw. Besatzung der Alliierten stünde. Die dahinterliegende Ideologie ist im Kern antisemitisch, geschichtsrevisionistisch und demokratiefeindlich. Ihre Anhänger*innen erkennen die aktuelle Gesetzgebung nicht an, weigern sich z.B. Steuern zu zahlen oder gründen eigene Staaten bzw. Reichsregierungen.[3] Diese Sichtweise war auch für den organisatorischen Aufbau der „Patriotischen Union“ von zentraler Bedeutung.

Als oberstes Gremium der „Patriotischen Union“ gilt ein administrativer „Rat“ mit dem Finanzberater und Immobilienhändler Heinrich XIII. Prinz Reuß an dessen Spitze. 2019 verbreitete er in einem Redebeitrag auf der in Zürich stattgefunden Konferenz „Worldwebforum“ das reichsideologische Narrativ einer angeblich fehlenden Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie antisemitische Verschwörungserzählungen. Im Mai 2021 soll sich Reuß laut ZEIT in einem Brief an Wladimir Putin als Botschafter des „Deutschen Reichs“ vorgestellt und den russischen Präsidenten um Zusammenarbeit ersucht haben. Übergeben werden sollte der Brief durch den bundesweit bekannten Reichsideologen Ralph T. Niemeyer. Persönlicher Referent des selbsternannten Botschafters sollte Thomas Tscherneschek aus Bayern werden[4]. Tscherneschek war für den Strukturaufbau verantwortlich, organisierte Schießübungen und hat neue Mitglieder rekrutiert. Er selbst war im Motorradclub „Gremium MC“ aktiv, der seit Jahren mit Verbindungen und personellen Überschneidungen in die neonazistische Szene auffällt.

Nachgewiesen werden konnten der Gruppierung außerdem parteipolitische Verbindungen. In Olbernhau (Sachsen) wurden zwei ehemalige Stadträte festgenommen: Neben Frank Richter (CDU) noch der bis 2020 für die AfD aktive Christian Wendler. Der Sportschütze soll für die Beschaffung von Waffen zuständig gewesen sein. Die Esoterikerin Ruth Hildegard Leiding aus Heppenheim (Hessen) war u.a. am Aufbau einer AfD-Ortsgruppe beteiligt und als Wahrsagerin für die ebenfalls inhaftierte Birgit Malsack-Winkemann tätig, die von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag saß. Laut Bundestagsunterlagen, aus denen die ZEIT berichtet, war Leiding von mindestens Juli bis Oktober 2021 im Parlamentsbüro von Malsack-Winkemann als Sachbearbeiterin beschäftigt und erhielt dafür rund 11.800 Euro aus Steuermitteln. Malsack-Winkemann selbst war zuletzt wieder als Richterin in Berlin tätig und sollte in der neuen Regierung nach einem erfolgreichen Putsch als Justizministerin fungieren.

In einem dem „Rat“ angegliederten „militärischen Arm“, unter Leitung des ehemaligen Bundeswehrsoldaten Rüdiger von Pescatore, sind weitere ehemalige wie aktive Soldaten und Polizist*innen beteiligt. Mit Michael Fritsch und Maximilian Eder gehören dazu u.a. zwei bundesweit bekannte Protagonisten der Pandemieleugner*innenszene. Der ehemalige Polizist Fritsch war seit August 2020 als Redner auf „Corona-Protesten“ vertreten, Gründungsmitglied des verschwörungsideologischen Vereins „Polizisten für Aufklärung“ und Kandidat für die rechtsesoterische Partei „Die Basis“. Der ehemalige Bundeswehr-Soldat Eder fiel auf Versammlungen der Pandemieleugner*innenszene u.a. dadurch auf, dass er mit Militärbekleidung aufmarschierte und über die Telegram-Gruppe „Veteranen Pool“ versuchte weitere Armeeangehörige zu vernetzen. Größere Aufmerksamkeit erfuhr dieser Versuch im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe 2021. Eder inszenierte sich zusammen mit anderen „Veteranen“ als freiwillige Helfer und viel vor Ort in erster Linie durch die Verbreitung von Verschwörungserzählungen auf. Demnach hätte die Bundesregierung die Flut eigens herbeigeführt, um den Tod hunderter verschleppter Kinder zu verschleiern. Ihre „Kommandozentrale“ befand sich in einer nicht genutzten Grundschule in Ahrweiler, die von der Gruppierung „Eltern stehen Auf“ betrieben und zum bundesweiten Anlaufpunkt für die extrem rechte und verschwörungsideologische Szene wurde.

Radikalisierter Verschwörungsglaube

Ein gewaltsamer Umsturz hätte aktuell real wohl wenig Aussicht auf Erfolg gehabt. Was jedoch deutlich wird, ist ein anhaltend hohes Bewusstsein der Szene dafür, dass solche Aktionen tatsächlich stattfinden könnten. Diese Perspektive hängt eng mit der Herausbildung eines verschwörungsideologischen Protestmilieus während der Coronapandemie zusammen, bei dem mit den mittlerweile ausbleibenden Mobilisierungserfolgen auf der Straße eine teilweise rasante Radikalisierung zu beobachten ist. Bedingt wird diese Radikalisierung einerseits durch die verstärkte Zusammenarbeit mit und inhaltliche Bezugnahme auf reichsideologische und extrem rechte Akteur*innen. Andererseits muss bei nicht wenigen Aktivist*innen von einem mittlerweile geschlossenen verschwörungsideologischen Weltbild ausgegangen werden. Für dessen Anhänger*innen stellt sich die Welt in einem apokalyptischen Endzustand dar und gesellschaftspolitisch auftauchende oder vorhandene Konflikte sind darin lediglich Anzeichen eines existentiellen Kampfs zwischen „Gut“ und „Böse“. In diesem Zusammenhang stellt der Politikwissenschaftler Jan Rathje fest: „Wenn Verschwörungsideolog*innen für sich zu der Überzeugung gelangt sind, dass die Apokalypse begonnen hat, weil ihre Welt auf Grund von reellen oder eingebildeten Ereignissen fundamental aus den Fugen geraten ist, können sie sich entschließen, gewaltsam ‚Widerstand‘ gegen das von ihnen wahrgenommene ‚Böse‘ zu leisten.“[5]

Innerhalb der Patriotischen Union versammelt sich ein Querschnitt der bundesdeutschen Gesellschaft, wobei die hohe Zahl ökonomisch gut situierter als auch ehemaliger bzw. aktiver Polizist*innen und Soldat*innen auffällig scheint. Die Gruppierung steht damit aber auch stellvertretend für eine anhaltende Radikalisierung demokratiefeindlicher Milieus die insbesondere im Zuge der verschwörungsideologischen „Corona-Proteste“ neue Allianzen geschlossen haben. So verwundert es wenig, dass neben Reichsideolog*innen und Neonazis auch Impfgegner*innen, Esoterikfans, QAnon-Gläubige sowie AfD- und Die Basis-Anhänger*innen zu den Beschuldigten gehören. Was sie eint, ist die Verachtung der Demokratie und die Beschwörung eines Widerstandsrechts, das aufgrund der vorhandenen Bewaffnung von Teilen der Szene eine reale Gefahr darstellt.

Ulrich Peters ist freier Journalist aus Berlin und im Redaktionskollektiv des Antifaschistischen Infoblatt aktiv.

[1] https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/prozess-bewaffnete-reichsbuerger-lauterbach-entfuehrung-100.html

[2] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/razzia-reichsbuerger-polizisten-101.html

[3] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/reichsbuerger_web.pdf

[4] https://www.t-online.de/region/frankfurt-am-main/id_100098712/razzia-das-ist-ueber-weitere-terrorverdaechtige-im-rhein-main-gebiet-bekannt.html

[5] https://mbt-hessen.org/fileadmin/user_upload/20210329_MBT_Verschwoerungsideologie_Broschuere_24S_A4_Web.pdf (S. 12)

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