12. Dezember 2022

Larissa Denk: Umgang mit Verschwörungserzählungen

Fragen statt Antworten

Seit über zwei Jahren führe ich mit meinem Kollegen Workshops zum Umgang mit Verschwörungserzählungen[1] durch. Die zu Beginn der Veranstaltungen durchgeführten Erwartungsabfragen zeigen, dass der Anteil derjenigen, die Erfahrungen mit Verschwörungserzählungen gemacht haben und vielleicht sogar in ihrem direkten Umfeld Konflikte mit Verschwörungsgläubigen erleben, in dieser Zeit gestiegen ist.

Teilnehmende berichten von belastenden Konflikten in der Familie, unter Freund:innen oder mit Kolleg:innen. Das Gegenüber mit Fakten zum Hinterfragen zu bewegen, führt oft nicht zum Erfolg – und dann zu Frust, Resignation oder Ohnmachtsgefühlen. Es wird berichtet, dass die verschwörungsgläubige Person beispielsweise von einem Thema zum anderen springt, die kritisierende Person mit vielen und unüberprüfbaren Details und „Totschlagargumenten“ überhäuft und diese sprachlos zurücklässt. So wünschen sich Teilnehmende Strategien, um in solchen Situationen überzeugend agieren zu können.

Hinter dem Wunsch nach einem starken Satz, einer erfolgsversprechenden rhetorischen Technik und überzeugenden Argumenten steht das Bedürfnis nach Souveränität, der Überwindung von Ohnmachtsgefühlen und die Sorge um eine Person, die nicht mehr erreichbar zu sein scheint. Nur leider gibt es kein Wundermittel oder den einen überzeugenden Satz, der in jeder Situation passt.

Wir liefern statt Antworten weitere Fragen. Denn der Kontext, in dem Menschen mit Verschwörungserzählungen konfrontiert sind, ist entscheidend dafür, wie ein passender Umgang aussehen kann. Es kann helfen, ein paar Fragen zu stellen, um Situationen einordnen zu können. Auch nachträglich können so Fälle analysiert werden, in denen wir uns nicht souverän gefühlt haben, um weitere Lösungsansätze zu entwickeln.

In welcher Beziehung stehe ich zu der Person, die Verschwörungserzählungen teilt?

Es macht einen großen Unterschied, ob die Person, die Verschwörungserzählungen äußert, eine mir unbekannte Person im Bus oder ein:e Familienangehörige:r ist. Im ersten Fall werde ich nicht viele Möglichkeiten haben, ernsthaft auf die Haltung der Person einzuwirken. Hier möchte ich eher Gegenrede leisten und Gesagtes nicht unwidersprochen stehenlassen. Im zweiten Fall verfüge ich bestenfalls über einen „guten Draht“ zu der Person und habe einen Vertrauensvorschuss. In einem Vier-Augen-Gespräch wird sie mir und meiner Kritik eher Gehör schenken. Meine Reaktion sollte auch mit meiner Rolle in der jeweiligen Beziehung übereinstimmen. Zu betreuenden Jugendlichen oder Klient:innen gegenüber trage ich eine besondere Verantwortung und werde in der Reaktion eher eine pädagogische, therapeutische oder begleitende Haltung einnehmen.

Welche Ziele verfolge ich?

Ziele, die ich mit meiner Intervention gegen Verschwörungserzählungen verfolge, sollten klar und realistisch sein. Es ist unrealistisch zu glauben, dass die Person im Bus plötzlich von ihrer verschwörungsideologischen Überzeugung abzubringen ist. Es ist ebenfalls unwahrscheinlich, verschwörungsideologisch überzeugte Familienangehörige kurzfristig vom Gegenteil zu überzeugen. Hier könnte das Ziel eher sein, meinen Standpunkt deutlich zu machen und dem Gegenüber zu versichern, dass mir an der Beziehung etwas liegt. Setzt bei der Person ein Distanzierungsprozess ein, signalisiere ich, dass ich für sie da bin und sie begleiten und unterstützen werde.

Habe ich es mit einem geschlossen verschwörungsideologischem Weltbild zu tun?

Ob ein geschlossen verschwörungsideologisches Weltbild vorliegt, mag auf den ersten Blick schwer einzuschätzen sein. In diesen Fällen berichten Angehörigeetwa, dass die dbetreffende Person nicht mehr zu erreichen seifaktenbasierte Gegenargumentewerdenabgewehrt und als Teil der „Systempresse“ abgetan. Die Welt wird in „Aufgeklärte“ und „Schlafschafe“ aufgeteilt[2] und oft wirken Verschwörungsgläubige getrieben aufgrund des Alarmismus, der etwa durch die einschlägigen Telegram Kanäle befördert wird. Aufschlussreich können auch die Fragen danach sein, seit wann sich die Person mit der jeweiligen Verschwörungserzählung beschäftigt und wieviel Zeit sie damit verbringt. Ein Merkmal für ein geschlossenes Weltbild kann auch sein, dass unterschiedliche Verschwörungserzählungen zusammenkommen.

Andererseits kann zum Beispiel das Misstrauen gegenüber neuen medizinischen Behandlungsmethoden auf tatsächlichen Erfahrungen basieren. Für Menschen mit einer Familienbiografie im globalen Süden beispielsweise, kann das Erleben und Erzählungen von Verbrechen im Namen sogenannter kolonialmedizinischer Forschung Auslöser sein. Diesen nachvollziehbaren Ängsten sollte nicht nur als Verschwörungserzählung begegnet werden[3].

Welche Ressourcen habe ich?

Wichtig ist die Frage nach den eigenen Ressourcen. Angehörige von Verschwörungsgläubigen berichten von Frust, Erschöpfung und Überforderung durch diesen Konflikt. Hier macht es Sinn, sich zu überlegen, ob Ressourcen bereits erschöpft und Grenzen überschritten sind. Die Grenzen können zeitlich sein: Wieviel Zeit möchte ich in diesen Konflikt und der Recherche zu Verschwörungserzählungen investieren? Sind emotionale Grenzen erreicht, können etwa Kontaktunterbrechungen, die Formulierung klarer Bedingungen für Treffen, oder das Hinzuziehen einer Beratungsstelle angebracht sein. Dazu gehört auch die Überlegung, wann in der Auseinandersetzung eine Grenze überschritten ist, etwa bei Holocaustleugnung oder bei anderen strafrechtlich relevanten Äußerungen.

Fazit

Bei der Suche nach einem adäquaten Umgang mit Verschwörungserzählungen geht es immer auch um ein Abwägen zwischen Beziehung und Grenzziehung. Dabei handelt es sich um Prozesse, die nicht auf die Schnelle gelingen können, gerade wenn es sich um nahestehende Personen handelt. Distanzierungsprozesse brauchen Zeit. Das mag enttäuschen, kann aber auch den Druck nehmen, dass es auf den einen Satz oder die eine Begegnung ankommt. Wir haben mehrere Anläufe und tragen nicht die Verantwortung für einen möglichen Distanzierungsprozess.

 

Larissa Denk ist seit vielen Jahren in der politischen Bildung in den Themenfeldern extreme Rechte und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit tätig.

 

[1] Zurzeit flottieren verschiedene Begriffe, wie Verschwörungstheorie, -ideologie, -erzählung, oder -glauben, die teilweise auch einfach synonym verwendet werden. Es wird auch um den richtigen Begriff und dahinterstehende Konzept gestritten. Dies sind Hinweise darauf, dass sich zurzeit verstärkt mit diesem Phänomen auseinandergesetzt wird. Mit Verschwörungserzählungen meine ich verschiedene Erzählungen, denen Verschwörungsideologie zugrunde liegt. In Anlehnung an die Definition für „Verschwörungstheorie“ der Europäischen Kommission, bezeichne ich Verschwörungsideologie als „Die Überzeugung, dass bestimmte Ereignisse oder Situationen von geheimen Mächten in negativer Absicht manipuliert werden“ (https://ec.europa.eu/info/live-work-travel-eu/coronavirus-response/fighting-disinformation/identifying-conspiracy-theories_de). Eine weiterführende Auseinandersetzung mit diesen Begriffen findet sich z.B. hier:  http://corona-mythen.org/mythen/

[2] Weitere Merkmale verschwörungsideologischen Denkens sind hier: http://corona-mythen.org/merkmale-2/ und hier: https://gegenverschwoerung.hamburg/informationen/ zu finden.

[3] Dieser Text befasst sich mit dem Nexus Medizin und Kolonialismus und weist auf weitere Literatur dazu hin: https://www.goettingenkolonial.uni-goettingen.de/index.php/disziplinen/medizin

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